dieHetzgasse

Die Hetzgasse

ist ein historisch geprägter Straßenzug im Zentrum Wiens. Der Name stammt von dem ehemals am Ursprung der Gasse angesiedelten Hetztheaters. Unmittelbar an ihrem Anfang ist die Hetzgasse durch eine Bahntrasse unterbrochen und kreuzt auf einer Seite die Untere Viaduktgasse. An dieser Kreuzung steht ein Gründerzeit-Eckhaus. Wenn man mit der Schnellbahn zwischen Praterstern und Wien Mitte fährt, wird man dieses Haus sicher gleich erkennen oder vielleicht auch schon gesehen haben.

Hetzgasse 8
Gründerzeithaus Ecke Hetzgasse und Untere Viaduktgasse

Das Haus in der Hetzgasse

Mit reichlich gegliederter und Verzierungen geschmückten Fassade steht dieser Zeitzeuge großstädtischer Besiedelung der Weissgerber-Vorstadt (eines der frühesten Beispiele dieser Art in Wien) an weithin offener Stelle, gleich neben den S-Bahngleisen. Gleichsam als Repräsentant für einen Stadtteil, der seinen ursprünglichen und historischen Charakter bis heute beibehalten hat. Bedauerlicherweise wurde dieses Haus für viele Jahre sich selbst überlassen. Jahrelange Vernachlässigung hat Spuren sowohl innen als auch außen hinterlassen. Jetzt soll das der Grund dafür sein, weshalb das Miethaus unwirtschaftlich sei und unbedingt abgerissen werden müsse, damit an dessen Stelle ein rentabler Neubau entstehen kann. Kaum zu glauben, dass man so einem Baujuwel in diesem historistischen Ambiente weit über 10 Jahre jede ordnungsgemäße Bewirtschaftung verwehrt, sodass letztendlich solch ein Eindruck entsteht, und man damit dann auch noch versucht, den Abriss zu rechtfertigen.

Viele Bewohner konnten das nicht mehr mit ansehen und sind nach und nach ausgezogen. Freilich nicht allein der genannten Umstände wegen, wesentlich motivierender für diesen letzten Schritt werden wohl subtilen Äußerungen und Aktionen gewesen sein (offene Fenster in leer stehenden Wohnungen, die in angrenzenden Wohnungen die Heizkosten massiv in die Höhe treiben und den gefiederten Stadtbewohnern ein zu Hause bieten; tagelang Filmdreharbeiten im ganzen Haus, auch in der Nacht und am Wochenende; befristet und unter widrigsten Umständen eingesiedelte Flüchtlingsfamilien, die Hausrat und Brennholz in den Gängen lagern;...).

Sobald das, im Kern großbürgerlich angelegte Haus, von Mietern "leergeräumt" ist, wird es abgerissen und durch einen modernen, wohnraumverdichteten Neubau ersetzt. Noch ist es aber nicht soweit. Der letzte verbliebene Mieter weigert sich, sein Zuhause zu verlassen. Er lebt seit seiner Geburt dort. Seine Wohnung hat er in den 90er Jahren zwecks Familiengründung kosten- und arbeitsintensiv mit sehr viel Grips für kommende Bedürfnisse adaptiert. Nun soll die Familie aus ihrem Zuhause ausziehen. Leider gibt es Möglichkeiten, per Gesetz auch unbefristete Mietverträge aufzulösen, um solche "Hindernisse" loszuwerden. Zwei solcher Verfahren wurden eingeleitet, um einen Auszug zu erzwingen. Ein Auszug und ungewisser "Neubeginn", der für die Familie nicht nur eine enorme Einschränkung der persönlichen Lebensqualität, sondern auch eine enorme finanzielle Belastung bedeuten würde.

Ein positiver Bescheid für auch nur eines dieser Verfahren würde das Schicksal des Hauses und des Mieters besiegeln. Aber nicht nur das Schicksal dieses Hauses und dieses Mieters. Die beispielhaft einfache Vorgehensweise könnte letztendlich auf rund 70% der Mieter Wiens in Häusern, die nicht in Schutzzonen liegen, angewendet werden. Mit entsprechender Vorlaufzeit würde die bloße Absichtserklärung, mit Abriss und Neubau die allgemeine Wohnsituation verbessern zu wollen, genügen, um den Mietern per Gesetz zu kündigen. Ein leicht zu erbringenden Nachweis, dass ein wirtschaftlicher Fortbestand des Hauses auf Dauer nicht gewährleistet sei, könnte zum selben Ziel führen. Prinzipiell wäre Wohnraumvermehrung ganz im Sinne der Allgemeinheit. Dieses Motiv, im Grunde zumeist vom Streben nach haltloser Gewinnsteigerung getrieben, sei auch jedem unbenommen. Höhere Profite auf Kosten vieler Einzelner, die durch derartige Aktionen Einschränkungen, Verluste und andere Belastungen erfahren, können allerdings nicht im Sinne der Allgemeinheit sein.

Die Gründerzeit

Das hier beschriebene Beispiel hat aber durchaus auch kulturelle Aspekte. Die Architektur der Gründerzeit ist immer noch unumstrittener Bestandteil der ehemaligen Kaiserstadt. Zur Herrschaftszeit Franz Josephs I wurden Wiens Vorstädte nach großstädtischem Vorbild besiedelt. Ausgehend von den Grenzen der heutigen Inneren Stadt, wuchs Wien Grätzl um Grätzl zur Großstadt. Dem Wohnbedarf infolge des starken Bevölkerungswachstums folgend, entstanden mehrgeschossige, modern und wohngerecht ausgestattete Häuser. Eine Bauordnung regelte schon damals die Bauausführung bezüglich Sicherheit, Brandschutz, Hygiene, Wohnkomfort und anderem. Ganze Bezirke und Bezirksteile sind auch heute noch von diesen Häusern geprägt. Liebevoll gepflegte Gründerzeithäuser bewahren und präsentieren die Geschichte eines jeden Grätzls, in dem die gute alte Zeit stehen geblieben zu sein scheint, das aber trotzdem den Finger am Puls der Zeit hat. Der Aufenthalt in so einem Grätzl ist ein eindrucksvolles Erlebnis, egal ob man hier wohnt oder einfach nur flaniert. Das Flair der Zeitlosigkeit, vermittelt durch die allgegenwärtige Historie, gönnt dem heutigen hektischen Leben Zeit zu verweilen und auszuruhen, ohne dabei etwas zu versäumen. Nicht zuletzt ist dies auch für viele Touristen der Grund, weshalb sie Wien besuchen.

Die Gegenwart

Einst der Stolz der aufblühenden Stadt Wien, werden Gründerzeithäuser heutzutage oft als assanierungsbedürftig oder nicht wirtschaftlich erhaltbar und deshalb als abbruchreif dargestellt. Unter solchen Vorwänden sind schon etliche Häuser der Abrissbirne zum Opfer gefallen. Wie oben beschrieben, will man nun auch ein Gründerzeitaus in der Hetzgasse im Weißgerberviertel abreißen und durch einen Neubau ersetzen. Das Gelingen dieses Vorhabens hätte Vorbildcharakter und könnte zu sukzessiven Altbauabrissen führen, die sich letztendlich nicht nur auf das Weißgerberviertel beschränken.

Die Zukunft?

Wien wächst weiter und soll auch weiterwachsen. Doch ist es sinnvoll, dieses Wachstum nach innen zu lenken, indem man eine Wohnraumverdichtung mittels Abriss und Neubau in Richtung Zentrum befürwortet? Ist eine derartige Stadterneuerung überhaupt notwendig, wo Wien zwar alt sein mag, aber keineswegs veraltetet ist. Was sich letztendlich auch in Weltranglisten bezüglich Lebensqualität äußert. Welchen Rang würde Wien nach einer solchen Umgestaltung mit verdichteten Neubauten einnehmen? Soll der historistisch geprägte Teil Wiens wieder auf seine ursprüngliche Ausgangsgröße, die Innere Stadt, zurückschrumpfen?